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Ein Beispiel einer kollektiven Befreiungsübung

Bedienungsanleitung zum Text - und um Missverständnissen vorzubeugen: Besonders für Unerfahrene im Bereich Schauspiel lohnt es sich, nicht mit dem lesen abzubrechen, wenn etwas nicht sofort einleuchtet, weiter unten wird dies erklärt. Die Hälfte des Textes sollte unbedingt gelesen werden, um zu verstehen worauf Keith Johnstone bei diesem Spiel hinaus will.
Detail-Erklärung zum Text für absolut Schauspiel Unerfahrene: Die im Text vorkommenden Animationen werden in der Gruppe pantomimisch und schauspielerisch in die Tat umgesetzt. Zum Beispiel beim Satz: „Lasst uns schwimmen“ stellen sich die Spieler der Gruppe vor zu schwimmen, sie laufen dann in Schwimmgeschwindigkeit im Raum umher und führen mit den Händen und Armen authentische Schwimmbewegungen aus oder tun pantomimisch das, was sie im Schwimmbecken auch tun würden. Die Gruppe nimmt die gewünschte Szene ernst, lebt in einer Imagination wie Kinder dies tun und blendet die Tatsache einfach aus, dass gar kein Wasser im Raum ist.

 

Die "Gruppen-Ja" Übung

von Keith Johnstone:

aus Keith Johnstones Buch "Theaterspiele":

 

„Ursprung: Der durchschnittliche Mensch ist so negativ, daß ich mich fragte, wie wohl eine total positive Gruppe sein würde.
So wird es gespielt: Ich bitte die ganze Gruppe, zu jedem Vorschlag, den irgend jemand macht, JA zu sagen.
„Jeder, der nicht total begeistert JA sagen kann, fliegt aus der Gruppe und muß sich still in die Ecke setzen. Nicht so tun als ob!
Haben alle verstanden?“
„JAAAAA!“
„Wollen wir dieses Spiel ausprobieren?“
„JAAAAA!“
„Versprecht ihr mir, nur JA zu sagen, wenn ihr es wirklich meint?“
„JAAAAA!“

Das klingt vielleicht wie Zwang, aber wenn jemand vorschlägt: „Lasst uns uns gegenseitig kitzeln“ - „JAAAAA!“ -, und jemand hat die Nase voll vom Kitzeln, kann er immer rufen: „Lasst uns aufhören!“ Und wenn jemand einen beleidigenden Vorschlag macht, löst sich die Gruppe auf.
Ich erläutere, daß es keinen Anführer geben darf - daß die Vorschläge von allen Gruppenmitgliedern kommen müssen. Bei den ersten Versuchen wird dieses Spiel wahrscheinlich in kürzester Zeit zuende sein (wegen blöder Vorschläge), doch die Gruppe lernt bald, Zurückhaltung zu üben. Man erhält Sequenzen wie die folgende:
„Lasst uns hinsetzen!“
„Lasst uns aufstehen!“
„Lasst uns auf und ab springen!“
„Lasst uns hinlegen und ausruhen!“
„Lasst uns schlafen!“
„Lasst uns aufwachen!“
„Lasst uns mit den Zehen wackeln!“
„Lasst uns mit dem ganzen Körper wackeln!“
„Lasst uns fliegen!“
„Lasst uns einander umarmen!“
„Lasst uns am Strand sein!“
„Lasst uns schwimmen!“
„Lasst uns tiefer tauchen!“

Da alle negativen Ideen wegfallen, steigert sich die Energie der Gruppe, und sie beginnen, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit “Sensibilitätsspiele“ zu erfinden und wiederzuentdecken.
Nach einer Viertelstunde oder so „entdecken“ die meisten Gruppen das trommeln (gegen die Wand, auf den Boden und so weiter). Der Lärm, der dabei entsteht, kann gewaltig sein. Sie sollten also Ort und Zeit sorgfältig wählen und sicherstellen, daß die Gruppe innerhalb des ausgemachten Raumes bleibt. Wenn es zu wild wird, können Sie immer „Lasst uns schlafen!“
oder „Laßt uns aufhören!“ rufen. Richtig außer Kontrolle geraten kann die Gruppe nicht, weil sie sonst vor lauter Lärm die Vorschläge nicht mehr hören würden.

Dieses Spiel basiert auf der Entscheidungsfindung bei bestimmten Naturvölkern, wo Entscheidungen durch Einstimmigkeit und nicht durch Wahl getroffen werden., und nach einiger Zeit ähnelt es wirklich „primitiven“ Ritualen von Eingeborenen. Einzelne werden ausgewählt und herumgetragen oder geopfert und wieder auferweckt (wenn die Gruppe damit anfängt, unbeliebte Schüler zu isolieren, stimmt etwas nicht). Ich habe dieses Spiel mit sehr großen Gruppen gespielt (an den „Fishponds“ in Bristol zum Beispiel). „Stämme“ tobten über das Gelände, versetzten den Platzwart in Alarm, erlebten unterschiedliche Abenteuer, vereinigten sich und trennten sich wieder.

Setzen Sie das Spiel ein um Geschichten hervorzubringen. Wenn es schneller gehen soll (bei öffentlichen Aufführungen), lassen Sie die Gruppe sagen: „JA! UND...“
- Laßt uns den Wald erforschen!
- Ja! UND?
- Laßt uns in den tiefsten Teil des Waldes gehen!
- Ja! UND?
- Laßt uns ein altes Schloß mit einer Dornenhecke entdecken!
- Ja! UND?
- Laßt uns einen Weg durch die Hecke schlagen!
- Ja! UND?
- Laßt uns das Schloß erforschen
- Ja! UND?
- Laßt uns eine schlafende Prinzessin finden!
Schüler, die das Spiel mitgemacht haben, werden freundlicher und sensibler für die Bedürfnisse anderer. Eine Klasse an der Londoner „Royal Academy of Dramatic Art“ spielte Gruppen-Ja sechs Unterrichtsstunden a 90 Minuten (= 9 Stunden) hintereinander. Sie begannen, als sie kamen, und spielten ohne Unterbrechung. Das Spiel vermittelte ihnen etwas, was sie dringend brauchten, aber ich fühlte mich schuldig, daß ich dafür bezahlt wurde, es ihnen beizubringen.

Der Lehrer sollte auf mögliche Gefahren achten.
„Laßt uns die Augen schließen! - JA!“
„Laßt uns nach hinten fallen…“
„Laßt uns aufhören!“ rufe ich schnell in der Befürchtung, die Schüler könnten mit den Köpfen gegen die Wand knallen.
Manche Schüler rufen gehorsam „JA! UND?“ obwohl es ihnen offensichtlich an Begeisterung fehlt. Hier sollte man in das Spiel eingreifen und sie entfernen. Es sollte keiner weitermachen, der nicht wirklich begeistert ist.

Beim schreiben fällt mir ein, daß es eine gute Idee wäre, zwei oder mehr Ja-Spiel-Gruppen nebeneinander zu haben, so daß ein Schüler, dem ein Vorschlag nicht gefällt, statt auszuscheiden zur anderen Gruppe wechseln kann. Die Gruppe, die am Ende die meisten Mitglieder hat, gewinnt das Spiel.

Anhand der Heiterkeit, die beim Gruppen-Ja-Spiel entsteht, können Sie Ihren Schülern erläutern, wie negativ ihre gewohnheitsmäßigen Interaktionen sind. Ich empfehle dieses Spiel wärmstens.“

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Und ich empfehle Keith Johnstone, dessen Workshop-Arbeit ich persönlich kenne, wärmstens, und seine hervorragenden Bücher!

 

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